...und stiehlt die Garben weg vom Feld

Auf dem Weg zur Porta Posterola die staubige Via Garibaldi entlang kam ich am Milchladen vorbei, dessen Besitzer eben dabei war sich vor seinem Laden eine Zigarette anzuzünden. Was für ein schönes Bild, dachte ich. Das hätte ich gerne festgehalten.
Aber nicht erst seit ich das Buch von Susan Sontag "Über Fotografie" gelesen habe scheue ich mich, Menschen zu fotografieren. Durch das Ablichten, oder Abschießen - nicht umsonst nennt man das Fotografieren der Paparazzi so - stiehlt man dem Menschen etwas weg, so meine Empfindung. Man fängt etwas von ihm ein, dessen er sich nicht einmal bewusst sein muss. Selbst in exotischen Ländern, oder gerade dort, habe ich es immer vermieden, Menschen abzulichten. Auf meinen Bildern sind so unspektakuläre Motive wie die Pyramiden, ein Kugelfisch oder ein Riesensteinpilz zu sehen. Und das Meer. In allen Farben, zu allen Jahreszeiten. Selten aber, fast nie habe ich Menschen fotografiert. Auch von mir selbst gibt es kaum Fotos. Meist stammen sie von der Bühne, von öffentlichen Auftritten. Mich selbst abzulichten hat etwas eigentümlich narzisstisches. Man rückt sich für einen Augenblick in ein bestimmtes Licht, fängt sich ein, und stiehlt sich doch etwas weg. Vielleicht erklärt das, warum ich mir beim Betrachten dieses Bildes ein wenig verloren vorkomme. Wenn man sein Bild in die Offenheit der Welt - und das hier IST ein öffentlicher Raum - hineinwirft, wirft man nicht immer auch ein Stück von sich selbst mit weg, obwohl man glaubt, sich zu vervielfältigen? So denke ich - und bin vielleicht gerade deshalb nicht.

Zigarette

Weil es Ewigkeit nicht gibt

Der Moment wird vernichtet, indem er festgehalten wird. Weil die Zeit, das Leben, das Selbst, etwas Fliessendes ist, das sich nicht in etwas Statisches auflösen lässt, jedenfalls nicht, ohne etwas dabei zu verlieren. Während derjenige, der Fotos ansieht oder schießt, immer noch glaubt, etwas damit zu gewinnen.

Terpsichore - 1. Nov, 13:45

Ja, das ist schön gesagt. Aber es ist zugleich ein ganz natürlicher menschlicher Reflex, einen schönen Augenblick verlängern oder gar ganz behalten zu wollen. Dass wir ihn damit konservieren und töten, das ist der Preis, den wir so gar nicht als diesen wahrnehmen, weil wir ja glauben, der Moment wäre ohne dieses Festhalten ohnehin längst verloren. Wie wir etwas erinnern aus unserer Seele heraus, ist indes ganz unabhängig von Fotos, Notizen und Aufzeichnungen. Und doch tun wir es, immer wieder, als wären wir ohne dieses Festhalten verloren in der Ewigkeit.
Il re delle nevrosi (Gast) - 28. Nov, 19:11

Son(n)tagsreden.

Susan Sontag hat ihre Überlegungen zur Fotografie ja recht radikal überdacht (in "Die Leiden anderer betrachten"); zugegeben, es geht ihr darin nicht so sehr um Schnappschüsse, sondern um Bilder, die menschliches Leid festhalten und damit – unvergleichlich – mitteilbar machen. Und gibt nicht auch jedes andere Bild, auch wenn es stiehlt, etwas anderes weiter? Vielleicht ist Fotografie nicht nur Diebstahl, sondern eine Art nehmender Gabe – donnant, donnant.


BEITRÄGE

Die Andere
Wir sind viele und...
Terpsichore - 29. Nov, 10:28
...
So, what would Wittgenstein...
Terpsichore - 17. Jan, 09:39
"Lettre du voyant" muss...
"Lettre du voyant" muss es richtig heißen. Die verflixten...
il re di nevrosi (Gast) - 6. Sep, 19:30
Rimbaud
"Car JE est un autre." (Lettre de la clairvoyance)
il re di nevrosi (Gast) - 6. Sep, 14:55
Vielleicht ist das so....
Vielleicht ist das so. Vielleicht kommt es bei einer...
Terpsichore - 22. Aug, 10:22


Das Weblog TERPSICHORE wird vom Deutschen Literaturarchiv Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreibende erklären sich einverstanden.


fertig

Comments

Aha,
help
Vielen lieben Dank, aber...
help

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