Vom Singen
"Wissen Sie, es ist so schrecklich, daß das alles so vorbeigeht. Sie haben ja keinen Begriff, wieviel Leben im Singen drin ist, wieviel Herz, wieviel Gefühl, wieviel Angst, wieviel Aufregung. Ein ganzes Leben liegt in so einer Stimme drin, und ich soll das jetzt so quasi unbeteiligt abhören. Mir zerreißt's das Herz. Ich schalte aus, tu's weg. Ich kann es nicht." (Malaniuk, Ira in Interview an Asche, G. in "Oper 1981" Jahrbuch Opernwelt, S. 30)
Der Wahnsinn hat viele Gesichter. In eines schaute ich heute morgen.
Sie wohnt schräg über mir in einer kleinen Wohnung mit ihren beiden Katzen.
Manchmal schleicht sie nachts im Innenhof wie ein Gespenst umher. Das lange blonde Haar fällt ihr wirr herab, lächerlich geschmückt mit großen Stoffblumen. Das Gesicht grell geschminkt, gekleidet in ein Gewand, welches den Kampf gegen die Motten längst verloren hat. In einer Hand einen schwarzen Fächer, die Arme schaudervoll emporgehoben, so wandelt sie. Dann ist sie Lucia. Oder Ophelia.
Heute morgen aber ist alles anders. Wie ein waidwundes Tier irrt sie, schmerzensreich rufend, im Haus umher und rauft sich das strähnige Haar.
Barfuss läuft sie hinaus über die Scherben der Blumentöpfe, welche sie selber gestern zerschlagen hat. Kein Schmerz scheint größer als ihr innerer.
Ich kann das nicht mit ansehen, und obwohl ich Angst habe vor diesem Wahnsinn, gehe ich hinaus und nehme sie in den Arm.
Eine Stunde später. Um uns herum Polizei, Rettungssanitäter und ein Notarzt. Alles an ihr ist Jammer und Schmerz. Ein Gestank von Verwahrlosung und Vereinsamung geht von ihr aus. Ich lege meine Hand auf ihren Arm, beruhigend. Noch einmal dreht sie mir ihr verweintes Gesicht zu und sagt: "Ich war doch auch einmal Sängerin! Mein Vater war Sologeiger am Theater in W., und ich habe auch getanzt. Alles!.... Ich höre Sie doch immer, wenn Sie singen...was glauben Sie, wie das ist für mich..." Dann bricht sie wieder in Weinen aus. "Ich weiß." - sage ich nur. Streiche ihr das wirre Haar aus dem verschmierten Gesicht. Sie hatte mir während der letzten Stunde immer wieder diese und andere Geschichten erzählt. Ich schaue in ihre Augen, die seltsam jung geblieben sind, und kann auf einmal nicht mehr an gegen meine eigenen Tränen.
Der Notarzt beugt sich zu mir herüber, während er eine zweite Spritze aus seinem Koffer wühlt. "Sie sind auch Sängerin?" Das "auch" betont er derart, dass die Frage einer verfrühten Diagnose gleichkommt. Oder einem Urteil.
Ich ahne, was er jetzt denkt. Und auch ich hoffe, nein ich b e t e in diesem Augenblick, dass mir ein Leid wie dieses erspart bleibt. Und falls nicht, dass einer meiner Freunde mir gnädig dorthin hilft, wo kein Wahnsinn mich mehr erreichen kann.
Wieder später. Ich stehe mit zwei Männern vom Tierheim in ihrer Wohnung. Wir suchen die verängstigten Katzen einzufangen. Ein Gestank, der unerträglich ist, lässt mich die Luft anhalten. An den Wänden viele Bilder. Ich gehe näher, eines zu betrachten. Es ist eines der Fotos in Kostüm und Maske, welche man kurz vor Premieren in den Gängen eines Theaters von den Hauptdarstellern macht. Stolz lächelt sie in die Kamera. Ihre rechte Hand liegt an ihrer Brust. Darin hält sie einen kleinen Fächer. Unten am Bildrand steht in kleiner Schrift: "Maria Stuart - 22.3.1984"
Sie aber bedeckte
mit ihren Händen das
alte Gesicht,
voll Glut die strömenden Augen.
So sank sie ins Moos.
Der Wahnsinn hat viele Gesichter. In eines schaute ich heute morgen.
Sie wohnt schräg über mir in einer kleinen Wohnung mit ihren beiden Katzen.
Manchmal schleicht sie nachts im Innenhof wie ein Gespenst umher. Das lange blonde Haar fällt ihr wirr herab, lächerlich geschmückt mit großen Stoffblumen. Das Gesicht grell geschminkt, gekleidet in ein Gewand, welches den Kampf gegen die Motten längst verloren hat. In einer Hand einen schwarzen Fächer, die Arme schaudervoll emporgehoben, so wandelt sie. Dann ist sie Lucia. Oder Ophelia.
Heute morgen aber ist alles anders. Wie ein waidwundes Tier irrt sie, schmerzensreich rufend, im Haus umher und rauft sich das strähnige Haar.
Barfuss läuft sie hinaus über die Scherben der Blumentöpfe, welche sie selber gestern zerschlagen hat. Kein Schmerz scheint größer als ihr innerer.
Ich kann das nicht mit ansehen, und obwohl ich Angst habe vor diesem Wahnsinn, gehe ich hinaus und nehme sie in den Arm.
Eine Stunde später. Um uns herum Polizei, Rettungssanitäter und ein Notarzt. Alles an ihr ist Jammer und Schmerz. Ein Gestank von Verwahrlosung und Vereinsamung geht von ihr aus. Ich lege meine Hand auf ihren Arm, beruhigend. Noch einmal dreht sie mir ihr verweintes Gesicht zu und sagt: "Ich war doch auch einmal Sängerin! Mein Vater war Sologeiger am Theater in W., und ich habe auch getanzt. Alles!.... Ich höre Sie doch immer, wenn Sie singen...was glauben Sie, wie das ist für mich..." Dann bricht sie wieder in Weinen aus. "Ich weiß." - sage ich nur. Streiche ihr das wirre Haar aus dem verschmierten Gesicht. Sie hatte mir während der letzten Stunde immer wieder diese und andere Geschichten erzählt. Ich schaue in ihre Augen, die seltsam jung geblieben sind, und kann auf einmal nicht mehr an gegen meine eigenen Tränen.
Der Notarzt beugt sich zu mir herüber, während er eine zweite Spritze aus seinem Koffer wühlt. "Sie sind auch Sängerin?" Das "auch" betont er derart, dass die Frage einer verfrühten Diagnose gleichkommt. Oder einem Urteil.
Ich ahne, was er jetzt denkt. Und auch ich hoffe, nein ich b e t e in diesem Augenblick, dass mir ein Leid wie dieses erspart bleibt. Und falls nicht, dass einer meiner Freunde mir gnädig dorthin hilft, wo kein Wahnsinn mich mehr erreichen kann.
Wieder später. Ich stehe mit zwei Männern vom Tierheim in ihrer Wohnung. Wir suchen die verängstigten Katzen einzufangen. Ein Gestank, der unerträglich ist, lässt mich die Luft anhalten. An den Wänden viele Bilder. Ich gehe näher, eines zu betrachten. Es ist eines der Fotos in Kostüm und Maske, welche man kurz vor Premieren in den Gängen eines Theaters von den Hauptdarstellern macht. Stolz lächelt sie in die Kamera. Ihre rechte Hand liegt an ihrer Brust. Darin hält sie einen kleinen Fächer. Unten am Bildrand steht in kleiner Schrift: "Maria Stuart - 22.3.1984"
Sie aber bedeckte
mit ihren Händen das
alte Gesicht,
voll Glut die strömenden Augen.
So sank sie ins Moos.
Terpsichore - 21. Feb, 20:22
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