Dein Jakobsweg
Der Tag versprach so schön zu werden: Mit dem amerinischen Freund saß ich in seiner Küche, wir hatten eine Honigmelone zu orangefarbenen Schiffchen aufgeschnitten und aßen dazu vom Parmaschinken. Ich erzählte ihm von der Oper, versuchte ihm das aus meiner Sicht Besondere daran schmackhaft zu machen und wählte als Hörbeispiel Claudia Muzio, wie sie "Cecilia" singt, das saß. Ergriffen lauschte der Freund, und ich plauderte weiter, über Stimmführung in den verschiedenen Epochen, vom Belcanto und was ihn ausmache...
Die Sonne fiel durch die hohen Fenster und durch die offene Tür vom Hof herein, so dass es uns vorkam als säßen wir unter freiem Himmel. Die hohen Wände und der Marmorboden hallten wider vom Klang dieser göttlichen Stimme, und berauscht gingen wir in den Tag: der Freund, welcher danach in die Stadt fuhr und ich, die sich zum Singen bereit machte, als das Handy klingelte.
Ich sah den Namen des Anrufers im Display und wusste sofort was dieser Anruf bedeutete: Keiner unserer gemeinsamen Freunde würde mich ohne Grund hier in Italien anrufen, wenn nicht irgendetwas an deiner Situation sich gravierend verschlechtert hätte. Allerdings, was hätte sich noch verschlechtern können? Vor zwei Tagen kam der Zustandsbericht einer Freundin als Rundmail. Eine Verlegung ins Hospiz sei abgebrochen worden, man hätte dich an einen Tropf gehängt. Ich fühlte mich ohnmächtig, beschloss aber, dass ich jetzt im Urlaub sei und sowieso nichts tun könne. Ich verhielt mich still und schrieb nichts dazu. Aber ich wünschte mir zwei Dinge, die sich ausschlossen: "Warte noch, bis ich zurück bin." und "Ja, geh. Lass los!"
Wir, deine Freunde, die dich gemeinsam pflegten, schreiben uns immer sofort, wenn es aktuelle Veränderungen gibt. Nun also, ich kannte die Aufs und Abs, reagierte mit der Zeit gelassener auf solche Katastrophenmeldungen. Wie viel hast du schon ausgehalten, und wie oft hab ich an deinem Bett gesessen, deine Hand gehalten und geglaubt, du wärest schon auf deinem letzten Weg, um dich dann am nächsten Tag wieder strahlend und aufrecht im Bett sitzend vorzufinden. Nein, du würdest nicht so schnell gehen. Kurz vor meiner Abreise hatten wir noch den Jakobsweg geplant, von dem du so sicher warst ihn noch einmal gehen zu können. Wir alle wussten nie, wie ernst du das meinst, und ob du wirklich noch daran glaubst. Ausgesponnen haben wir diese Reise jedenfalls bis ins kleinste Detail: Flick und Flack, die Packpferde, welche du brauchen würdest, die Farbe der Satteltaschen, und wie die Stulpen der Pferde bestickt sein müssen, damit man kleine Dinge dort hineintun könne. Geld würdest du nicht brauchen, denn diese kleinen Dinge würdest du gegen Essen eintauschen...
Ich mochte diese Verschiebung, dieses Bild, welches du für das Unaussprechliche gewählt hattest. Mit dir in deine Welten einzutauchen, deinen Gedanken zu folgen, die der Tumor in deinem Hirn zu den absurdesten Konstrukten verwirbelte, das lies mich mein gesamtes Denken über Logik über Bord werfen. Es war wunderbar, mit dir zu spinnen! Es gab keinen, nicht einen einzigen Tag, an welchem du mich nicht zum Lachen, zum Wundern oder zum Staunen gebracht hättest mit deiner unendlichen Phantasie und deinem Glauben an das Schöne im Leben, an das Gute im Menschen. Und wer, wenn nicht du, hätte zweifeln dürfen...
Du warst mein Leuchtstern am Seelenhimmel während dieser ganzen letzten Zeit, und nie, niemals musste irgendwer dich trösten. Das ist das Wunderbare an dieser ganzen Geschichte: dass du uns, deinen Freunden, so viel Liebe, Kraft und Lachen geschenkt hast, während dein Körper an Schläuche angeschlossen und mit Medikamenten zugeschüttet langsam im Bett zerfiel. Dass wir, die wir teilweise einander nicht einmal kannten, durch dich zu Freunden geworden sind. Das wird bleiben.
Nun also der Anruf.
Es ist seltsam. So oft hab ich versucht, mir vorzustellen wie es sein wird wenn du stirbst. Wie sich das anfühlt: Der Tod. Und dann kommt er in zwei Sätzen durch ein Handy...
"Weine doch nicht!" hast du einmal zu mir gesagt, kannst du dich noch erinnern? Als mir einmal die Tränen kamen während wir das Vorspiel vom "Lohengrin" im Radio hörten und ich deine Hand hielt, die immer dünner und kraftloser wurde. "Wir haben doch soviel Schönes! Wir haben uns!"
Ich muss dir für so vieles Danke sagen.
Übrigens, du hast doch vor ein paar Wochen den Pfeil haben wollen, den ich beim Bogenschießen in der Mitte gespalten hatte, und ich ließ ihn dir, weil es dich so sehr freute, ihn anzuschauen. Ich kann mich noch erinnern, dass ich dir sagte ich wolle ihn aber unbedingt wiederhaben, denn das sei etwas ganz Großes: den Pfeil des vorherigen Schützen, welcher bereits ins Schwarze getroffen, noch gespalten zu haben! Weißt du was? Behalt ihn. Wie klein käme ich mir jetzt vor, ihn wieder zurückhaben zu wollen. Und was ist schon groß. Der Tod ist groß.
Aber noch größer ist was du aus ihm gemacht hast.
P.S. Eben kam eine Nachricht von deinem Freund aus Spanien.
DER 25. JULI IST DER NAMENSTAG UND GROSSE FESTTAG DES SANTIAGO, DES HEILIGEN JAKOBS. ES IST DER HEUTIGE TAG, AN DEM SEIN ANDENKEN GEFEIERT WIRD. ES IST DER WICHTIGSTE UND SPIRITUELLSTE TAG FÜR SANTIAGO DE COMPOSTELA UND:
FÜR ALLE JAKOBSWEGPILGER!!!
Ich wusste, du wirst ihn gehen, deinen Jakobsweg. Gute Reise, mein Freund.
Die Sonne fiel durch die hohen Fenster und durch die offene Tür vom Hof herein, so dass es uns vorkam als säßen wir unter freiem Himmel. Die hohen Wände und der Marmorboden hallten wider vom Klang dieser göttlichen Stimme, und berauscht gingen wir in den Tag: der Freund, welcher danach in die Stadt fuhr und ich, die sich zum Singen bereit machte, als das Handy klingelte.
Ich sah den Namen des Anrufers im Display und wusste sofort was dieser Anruf bedeutete: Keiner unserer gemeinsamen Freunde würde mich ohne Grund hier in Italien anrufen, wenn nicht irgendetwas an deiner Situation sich gravierend verschlechtert hätte. Allerdings, was hätte sich noch verschlechtern können? Vor zwei Tagen kam der Zustandsbericht einer Freundin als Rundmail. Eine Verlegung ins Hospiz sei abgebrochen worden, man hätte dich an einen Tropf gehängt. Ich fühlte mich ohnmächtig, beschloss aber, dass ich jetzt im Urlaub sei und sowieso nichts tun könne. Ich verhielt mich still und schrieb nichts dazu. Aber ich wünschte mir zwei Dinge, die sich ausschlossen: "Warte noch, bis ich zurück bin." und "Ja, geh. Lass los!"
Wir, deine Freunde, die dich gemeinsam pflegten, schreiben uns immer sofort, wenn es aktuelle Veränderungen gibt. Nun also, ich kannte die Aufs und Abs, reagierte mit der Zeit gelassener auf solche Katastrophenmeldungen. Wie viel hast du schon ausgehalten, und wie oft hab ich an deinem Bett gesessen, deine Hand gehalten und geglaubt, du wärest schon auf deinem letzten Weg, um dich dann am nächsten Tag wieder strahlend und aufrecht im Bett sitzend vorzufinden. Nein, du würdest nicht so schnell gehen. Kurz vor meiner Abreise hatten wir noch den Jakobsweg geplant, von dem du so sicher warst ihn noch einmal gehen zu können. Wir alle wussten nie, wie ernst du das meinst, und ob du wirklich noch daran glaubst. Ausgesponnen haben wir diese Reise jedenfalls bis ins kleinste Detail: Flick und Flack, die Packpferde, welche du brauchen würdest, die Farbe der Satteltaschen, und wie die Stulpen der Pferde bestickt sein müssen, damit man kleine Dinge dort hineintun könne. Geld würdest du nicht brauchen, denn diese kleinen Dinge würdest du gegen Essen eintauschen...
Ich mochte diese Verschiebung, dieses Bild, welches du für das Unaussprechliche gewählt hattest. Mit dir in deine Welten einzutauchen, deinen Gedanken zu folgen, die der Tumor in deinem Hirn zu den absurdesten Konstrukten verwirbelte, das lies mich mein gesamtes Denken über Logik über Bord werfen. Es war wunderbar, mit dir zu spinnen! Es gab keinen, nicht einen einzigen Tag, an welchem du mich nicht zum Lachen, zum Wundern oder zum Staunen gebracht hättest mit deiner unendlichen Phantasie und deinem Glauben an das Schöne im Leben, an das Gute im Menschen. Und wer, wenn nicht du, hätte zweifeln dürfen...
Du warst mein Leuchtstern am Seelenhimmel während dieser ganzen letzten Zeit, und nie, niemals musste irgendwer dich trösten. Das ist das Wunderbare an dieser ganzen Geschichte: dass du uns, deinen Freunden, so viel Liebe, Kraft und Lachen geschenkt hast, während dein Körper an Schläuche angeschlossen und mit Medikamenten zugeschüttet langsam im Bett zerfiel. Dass wir, die wir teilweise einander nicht einmal kannten, durch dich zu Freunden geworden sind. Das wird bleiben.
Nun also der Anruf.
Es ist seltsam. So oft hab ich versucht, mir vorzustellen wie es sein wird wenn du stirbst. Wie sich das anfühlt: Der Tod. Und dann kommt er in zwei Sätzen durch ein Handy...
"Weine doch nicht!" hast du einmal zu mir gesagt, kannst du dich noch erinnern? Als mir einmal die Tränen kamen während wir das Vorspiel vom "Lohengrin" im Radio hörten und ich deine Hand hielt, die immer dünner und kraftloser wurde. "Wir haben doch soviel Schönes! Wir haben uns!"
Ich muss dir für so vieles Danke sagen.
Übrigens, du hast doch vor ein paar Wochen den Pfeil haben wollen, den ich beim Bogenschießen in der Mitte gespalten hatte, und ich ließ ihn dir, weil es dich so sehr freute, ihn anzuschauen. Ich kann mich noch erinnern, dass ich dir sagte ich wolle ihn aber unbedingt wiederhaben, denn das sei etwas ganz Großes: den Pfeil des vorherigen Schützen, welcher bereits ins Schwarze getroffen, noch gespalten zu haben! Weißt du was? Behalt ihn. Wie klein käme ich mir jetzt vor, ihn wieder zurückhaben zu wollen. Und was ist schon groß. Der Tod ist groß.
Aber noch größer ist was du aus ihm gemacht hast.
P.S. Eben kam eine Nachricht von deinem Freund aus Spanien.
DER 25. JULI IST DER NAMENSTAG UND GROSSE FESTTAG DES SANTIAGO, DES HEILIGEN JAKOBS. ES IST DER HEUTIGE TAG, AN DEM SEIN ANDENKEN GEFEIERT WIRD. ES IST DER WICHTIGSTE UND SPIRITUELLSTE TAG FÜR SANTIAGO DE COMPOSTELA UND:
FÜR ALLE JAKOBSWEGPILGER!!!
Ich wusste, du wirst ihn gehen, deinen Jakobsweg. Gute Reise, mein Freund.
Terpsichore - 25. Jul, 17:52
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