Vorstellung
Angeregt von >>>p.`s Ausgrabungen seiner ersten Gedichte suchte ich heute eines meiner ersten Tagebücher heraus, in welchem ein Zettel eingeklebt ist mit meinem ersten Gedicht. Es ist kein selbst verfasstes, sondern ein Geschenk von einem Jungen. Ich war 16, und wir lernten uns während einer Klassenfahrt in einer Jugendherberge kennen. In der letzten Nacht stahl er sich heimlich in unser Zimmer, das war damals mehr als tollkühn, meine Freundin machte diskret Platz im Doppelbett, und wir saßen uns die halbe Nacht lang gegenüber, jeder eine Flasche Bier in der Hand, und redeten darüber, was wir vom Leben erwarteten. Er wollte studieren und Lehrer werden. Ich wollte gar nichts, außer meine Ruhe, das Ende der Schule und den Weltfrieden. Zum Abschied gab er mir einen kleinen Zettel in die Hand, den ich erst nach seiner Abreise lesen sollte. Es war unten stehendes Gedicht.
Damals begriff ich natürlich nichts von der philosophischen Bedeutung seiner Worte, mich interessierte hauptsächlich, ob ich nun gemeint war oder nicht, und dass dem 3. Fall die Endung fehlte. Der letzte Satz blieb mir allerdings im Gedächtnis und hat mich wie eine Mahnung immer wieder verfolgt. So hat mir nicht nur meine eigene Vorstellung von Anderen oft die Freude an ihnen versagt. Auch die Vorstellung darüber, wie ich zu sein habe, wirkt, wenn sie mit der Muttermilch aufgesogen, wie ein schleichendes Gift lebenslang. Das zu erkennen, die Fäden zu durchtrennen, die uns gebunden fühlen lassen an Wertvorstellungen und Maßstäbe, die nie unsere eigenen waren und es nie sein können, ohne die Verbindung zu den Geliebten selbst zu durchtrennen, ist immer wieder ein kleines Abenteuer. So wird mich mein erstes Liebesgedicht vermutlich bis an mein Lebensende begleiten, wenn sein Sinn mittlerweile auch eine ganz andere Bedeutung für mich hat.
Vorstellung
Wie soll sie sein?
Sie soll schön sein.
Sie soll schwarzes, langes Haar tragen.
Ihr Mund soll anziehend sein.
Ihr Körper soll reizvoll sein.
- Ja, so soll sie sein!
Doch ist es nicht gerade die Vorstellung, die dem Mensch
manch Freude des Lebens versagt?
S.L., 24.2.1986
Damals begriff ich natürlich nichts von der philosophischen Bedeutung seiner Worte, mich interessierte hauptsächlich, ob ich nun gemeint war oder nicht, und dass dem 3. Fall die Endung fehlte. Der letzte Satz blieb mir allerdings im Gedächtnis und hat mich wie eine Mahnung immer wieder verfolgt. So hat mir nicht nur meine eigene Vorstellung von Anderen oft die Freude an ihnen versagt. Auch die Vorstellung darüber, wie ich zu sein habe, wirkt, wenn sie mit der Muttermilch aufgesogen, wie ein schleichendes Gift lebenslang. Das zu erkennen, die Fäden zu durchtrennen, die uns gebunden fühlen lassen an Wertvorstellungen und Maßstäbe, die nie unsere eigenen waren und es nie sein können, ohne die Verbindung zu den Geliebten selbst zu durchtrennen, ist immer wieder ein kleines Abenteuer. So wird mich mein erstes Liebesgedicht vermutlich bis an mein Lebensende begleiten, wenn sein Sinn mittlerweile auch eine ganz andere Bedeutung für mich hat.
Vorstellung
Wie soll sie sein?
Sie soll schön sein.
Sie soll schwarzes, langes Haar tragen.
Ihr Mund soll anziehend sein.
Ihr Körper soll reizvoll sein.
- Ja, so soll sie sein!
Doch ist es nicht gerade die Vorstellung, die dem Mensch
manch Freude des Lebens versagt?
S.L., 24.2.1986
Terpsichore - 19. Sep, 14:23
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