Vermutung

Was weiß denn ich
was der Käfer weiß
über sich selbst
wenn er langsam durch
das Kartoffelfeld kriecht.

Vermutlich weiß er
mehr über mich
als über sich selbst
wenn ich ihm ein
Bein rausreiße.

So wie auch ich
mehr über dich weiß
als über mich selbst
wenn du mich
in deine Hände nimmst.

Ich werde durch mich
über mich überhaupt
nichts erfahren.
Morgen werde ich den
einbeinigen Käfer befragen.

Das Unaussprechliche

Die Tür fällt ins Schloß.
Stille. Sie bemerkt, eine lange Leere ist mit ihr in diesem Zimmer. Irgendwann kommt die Zeit zurück und tritt gleichsam in ihr Bewußtsein. Dann der Moment, in welchem sie wieder zu atmen beginnt. Zeit und Atem gehören zusammen, bemerkt sie. Sie nimmt wahr, daß sich ihr Körper in diesem Zimmer, auf diesem Bett befindet. Sie muß also am Leben sein. Sie ist sich nicht sicher. Die Zeit füllt jetzt den ganzen Raum und nimmt den Platz dessen ein, der gegangen ist.

Die Zeit war nie ihr Feind gewesen. Der Feind hat einen anderen Namen, den sie nicht nennen will, denn bereits das Aussprechen seines Namens kann ihn zum Kampf reizen. Ein Augenblick der Ruhe ihrerseits oder eine kleine Unaufmerksamkeit öffnen ihm das Tor zu seinem Kampfplatz. Dann betritt er die Arena, überzieht ihren Körper mit Krieg und legt Brand in den Feldern ihrer Seele.

Am Anfang kam es vor, daß sie ihn nicht sogleich erkannte und deshalb unvorbereitet war. Oder, ein verheerender Irrtum, einen harmlosen Gegner vermutete. Dann war der Kampf kurz, und sie blieb mit zerschmetterten Knochen auf dem Schlachtfeld liegen.

Selten, aber es geschah hin und wieder, so wie heute, da kam jemand, der nahm ein kleines Gefäß, öffnete es und lies daraus etwas in ihre Wunden rieseln. Dann half ihr die Zeit wie eine Verbündete, denn in dem Maße, wie sich der Schmerz ausbreitete, zog sie sich zusammen, bis Vergangenheit und Zukunft an einem Punkt im Jetzt zusammentrafen. Das war der Zeitpunkt ihrer Erlösung. Ein Akt der Gnade, den ihr die Zeit gewährte. Sie wurde aus sich selbst verstoßen und einer anderen Sphäre anheim gegeben, in welcher der Feind keine Macht über sie hatte. Nun konnte sie ihn in Ruhe betrachten. Er war nicht mehr als ein Zeichen. Eine Schrift, die langsam verblasste. Sie verstand nicht, wie ihr etwas derart Einfaches so gefährlich sein konnte. Das Unaussprechliche ballte sich zu einem Laut in ihrer Kehle, und mit einem langen Schrei spie sie ihn aus sich heraus. Da lag es vor ihr auf dem Boden und zerfiel langsam zu Staub.

Sie lauschte. Da war nichts. Außer der Zeit, welche langsam den Raum füllte, den Staub auf dem Boden übersah und ihren Körper bis an seine Ränder einnahm.


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Das Weblog TERPSICHORE wird vom Deutschen Literaturarchiv Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreibende erklären sich einverstanden.


und-stieht-

Comments

Aha,
help
Vielen lieben Dank, aber...
help

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