Poetry Night II - und ein Abend mit L.

Wir kamen zwei Minuten zu spät >>>> und verpassten die erste Lesung von
Fadhil Al-Azzawi (Irak), was insofern schade war, dass dieser Autor mich am meisten interessiert hätte. Als nächstes las Gerhard Falkner, von dem mir das Letzte, was er las, am nächsten war. "The linguistik turn" - Elegien am Rande des Nervenzusammenbruchs. Abwendung ins Innere, Suche, Dekonstruktion des Pathos, mir gefiel dieses unveröffentlichte und sogar unfertige, wie er selbst sagte, Gedicht viel besser als die "Hölderlin-Reparaturen", die sich mir beim Zuhören schräg stellten.
Von Coral Bracho wird mir die Stimme in der Erinnerung bleiben. Sie sprach ihre Gedichte nicht, sie sang sie. Alles war Klang, Sprachklang, Sprachmelodie. Sehr schade, dass die deutsche Übersetzerin eine trockene Lesart mit fragil-kratziger Stimme hatte, ich weiß nicht, ob das die Aufregung war oder die Trockenheit im Raum, jedenfalls störte es mich, dass es nicht floss. Zumal es im längsten und für mich schönsten Gedicht um das Wasser ging.
Das absolute Highlight des Abends aber war Nora Iuga aus Rumänien, die zu Anfang die Frage stellte, ob Gedichte auch altern, wie die Frauen. Deshalb las sie Gedichte, die sie mit 35, dann mit 55, später mit 75 Jahren geschrieben hatte und forderte das Publikum anschließend zur Diskussion heraus. Die Männer riefen natürlich: Ja! Gedichte altern. Ich fand dies nicht. Wobei die Gedichte der 75jährigen um ein Vielfaches erotischer waren als die der 35-jährigen Dichterin. So viel Kraft und Sinnlichkeit versprühte diese Dame da auf der Bühne, und ja, sie war nicht trotz sondern gerade wegen ihres Alters als schön zu bezeichnen, schöner als viele 30jährige, sie schlenkerte nervös mit den Beinen, sprang ab und an auf, gestikulierte mit den Händen, ihr Gesicht war lebendig, ihre Augen lachten, ihre Stimme war eine einzige Modulation - sie las ihre Gedichte selbst in deutscher Übersetzung - das war faszinierend - so etwas habe ich selten erlebt. Sie war getragen von ihrem inneren Feuer. Ansteckend. Und der Gedanke: so ist Altwerden schön. So will auch ich alt werden.
Danach gabs noch ein Gespräch mit Arundhati Roy, mit welcher das Festival auch eröffnet wurde. Viel Gedränge im Foyer. Wäre B. nicht zu hungrig gewesen, hätte ich ihn auch dazu gedrängt, so gingen wir zum Lieblings-Vietnamesen am Savigny-Platz und saßen dort noch lange nach dem Essen bei einem Gläschen Wein in Decken gehüllt zusammen draußen und sprachen gar nicht mehr soviel. Sich im gemeinsamen Schweigen verbunden fühlen, das ist etwas, was ich mit wenigen Freunden teilen kann, also genoss ich es ausgiebig.

Heute abend geht es unter anderem >>>> hierhin.

Jetzt aber erstmal: Käffchen! Und dann: Flug umbuchen. Retten, was noch zu retten ist, also finanziell. Das Hotel rief auch an, wo ich bliebe.
Ich muss mir jetzt bis heute abend überlegen, wo ich als nächstes hinfliege, sonst verfällt der Rückflug komplett. Was nicht so einfach ist ohne Kenntnis des "Dienstplanes", auf den ich hier am fremden Rechner keinen Zugriff habe, weshalb ich Kollegen anrief, die mir netterweise halfen. Eine Idee habe ich ja schon, und sie scheint auch umsetzbar. Tel Aviv. Ich muss mich nur entscheiden. So wie gestern.

Nachtrag
Nach der Lesung des lib noch zu einer Lesung von L. gefahren nach Moabit. Es entbehrte nicht einer gewissen Komik, dass im Publikum ein ehemaliger Richter vom Landesgericht Berlin saß. "Immer auf der anderen Seite", wie er später im Gespräch betonte, schien er doch ein heimliches Vergnügen darin zu finden, ins Leben derer einzutauchen, die Grenzen gerne und bewusst übertreten. Jedenfalls leuchteten seine Augen, als er über Jack B. sprach, dessen Biografie L. gerade schreibt. Er hatte ihn noch persönlich gekannt, durch ein Beweisverfahren. Eine Verwandte von Jack B. verehrte ihn so, dass sie jeden Zentimeter der Wohnung mit Zeitungsartikeln von ihm zugenagelt hatte. Als man beim Auszug die Bilder entfernen wollte, gab es praktisch keinen Putz mehr, da er Loch an Loch einfach abfiel. In dem Beweisverfahren nun musste Jack B. selbst antreten, und der Richter erzählte nicht ohne Stolz davon, dass er ihn persönlich kennenlernen durfte. Was ihm beim Bewusstwerden dieser Tatsache ein wenig verschämt erröten lies. Da standen sie sich nun gestern gegenüber. Der ehemalige Millionendieb und jetzt Autor - und der Richter. Und sprachen über Literatur.
L.L. (Gast) - 12. Sep, 15:09

kurz

immerhin ist er, das hat mir natascha erzählt, während der lesung ziemlich zapplig geworden. L.

Terpsichore - 12. Sep, 16:58

Das war die Spannung! Ich fands auch sehr spannend. Obwohl ich es schon kannte.


BEITRÄGE

Die Andere
Wir sind viele und...
Terpsichore - 29. Nov, 10:28
...
So, what would Wittgenstein...
Terpsichore - 17. Jan, 09:39
"Lettre du voyant" muss...
"Lettre du voyant" muss es richtig heißen. Die verflixten...
il re di nevrosi (Gast) - 6. Sep, 19:30
Rimbaud
"Car JE est un autre." (Lettre de la clairvoyance)
il re di nevrosi (Gast) - 6. Sep, 14:55
Vielleicht ist das so....
Vielleicht ist das so. Vielleicht kommt es bei einer...
Terpsichore - 22. Aug, 10:22


Das Weblog TERPSICHORE wird vom Deutschen Literaturarchiv Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreibende erklären sich einverstanden.


und-stieht-

Comments

Aha,
help
Vielen lieben Dank, aber...
help

Archiv

September 2009
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
12
13
15
16
17
18
20
21
22
23
24
25
27
28
29
30
 
 
 
 
 

Suche

 

Status

Online seit 5985 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 7. Jun, 14:02