Eindeutig mehrdeutig.

Ich habe gewartet auf den Augenblick, da ich wieder anschließen kann an Terpsichores Tagebuch von vor 2 Jahren. Aber es gibt ihn nicht. Vielleicht, weil es die Frau von damals nicht mehr gibt. Es ist, als halte ich ein Seil mit zwei losen Enden in den Händen und versuche verzweifelt einen Knoten zu binden. Das aber gelingt nicht. Es würde keine wirkliche Verknüpfung geben, es wäre eine Bruchstelle, eine Schweißnaht, so unsauber und roh, dass kein Handwerker sie würde durchgehen lassen.

Heute las ich in der Dschungel im Tagebuch der Anna H.
hier: http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/montag-3-august-2009/
die dort schreibt, ohne Schreiberin zu sein, wie sie sagt. So ein Scheusein war darin, eine Zartheit, wie sie versuchte, sich zu rechtfertigen, dass ich sie am liebsten in den Arm genommen und gesagt hätte: Schreib doch! Egal. ALLE hier sind Masochisten in gewisser Weise, die meisten wissen es nur nicht. Sie würde schreiben, so sagte sie, um die Uneindeutigkeit des Menschen zu zeigen.
Ich stelle mir gerade eine Eindeutigkeit im Sein vor. Das heißt ich versuche es. Gelingt mir aber nicht. Ich frage mich, wie sich jemand fühlt, der eindeutig ist. Für mich liegt die Eindeutigkeit in meiner Vieldeutigkeit, was ja mehrdeutig ist. Zum Glück. Der Einzige, der das vielleicht bedauern könnte, ist mein Therapeut. Da fällt mir ein, ich könnte mit ihm mal über MEINEN Masochismus sprechen. Das wiederum würde mich als ausgemachte Sadistin ausweisen. Da haben wir es. Ich bin eindeutig mehrdeutig!
steppenhund - 3. Aug, 18:38

Könnte es sein, dass ich ihren Schreibstil erkenne?

parallalie - 3. Aug, 20:02

oder: die widersprüche sich einander widersprechen lassen. ohne sie zu korrigieren.

Terpsichore - 4. Aug, 10:08

"but this above all, to thine own self be true!"
(Hamlet, ich glaube act1, szene 3)
Und, hats ihm was genützt?

Die Widersprüche sich einander bewusst widersprechen lassen, ist auch eine eindeutige Haltung. Nur flexibler.
steppenhund - 4. Aug, 10:40

Wahrscheinlich scheitert die Anweisung von Hamlet daran, dass es gar nicht so leicht ist, thine own self überhaupt zu erfassen.
Ich gehe so weit zu behaupten, dass viele Menschen das ihr ganzes Leben nicht schaffen. (Obwohl sie es gerade dann vielleicht unwillkürlich tun.)
Terpsichore - 4. Aug, 11:18

Lieber Steppenhund, das Zitat ist zwar nicht von Hamlet selbst, es wird dem Laertes auf seiner Reise von Polonius mitgegeben (neben vielen anderen klugen Ratschlägen) DIESEM aber ÜBER ALLEN, wirkt aber als Prinzip.
Das "ÜBER ALLES" führt konsequent in ein ein „Fiat iustitia, et pereat mundus" bei Michael Kohlhaas beispielsweise (Kleist). Ich muss also, wenn ich mir selbst treu sein will ÜBER ALLES, diese Treue durchsetzen gegen alle Gewalt, und wenn ich selbst daran zugrunde gehe. Darin liegt das tragische dieser Haltung.
parallalie - 4. Aug, 21:06

die erde zu beschreiben, und wär's die eigene, bräuchte einen mond, der sie umkreist und schweigend sie dazu brächte, von sich zu reden.
howie (Gast) - 5. Aug, 17:44

fiat justitia?

aber vergiss nicht, meine liebe terpsichore, dass dein spruch auch die form 'fiat justitia, ruat coelum' annehmen kann. solcher idealismus ist durchaus an der richtigen stelle zu begruessen.

http://en.wikipedia.org/wiki/Somersett%27s_case :)

Terpsichore - 6. Aug, 13:38

"Justitia" bei Somersett

war, wenn auch zugleich ein persönliches, doch ein allgemeines Recht des Menschen auf Freiheit. Es war somit größer als die Struktur, gegen die es anzukämpfen hatte, und die Chancen standen ohnehin gut, da diese porös waren.

Das "Ich muss Recht haben, um jeden Preis" also Rechtsdurchsetzung gegen Rechtsfrieden, ist davon grundverschieden. Die Frage muss also lauten: ist dieses Recht ein allein moralisch geglaubtes oder ein allgemein gültiges und lässt es sich überhaupt durchsetzen? Für letzteres werden ohnehin immer die "Himmel" einstürzen.
samtdunkel - 23. Aug, 17:55

Liebe Terpsichore!
Jemand, der sich eindeutig fühlt, fühlt sich sicher. Ist sich sicher fühlen dasselbe wie Sicherheit? Suchen wir Mehrdeutigen nicht auch nach Sicherheit in unserer Hingabe? Und so führen wiedereinmal alle Wege nach Rom!

Terpsichore - 24. Aug, 01:04

Über diesen für mich schon fast unvereinbaren Widerspruch zwischen Hingabe und Sicherheit schrieb ich zufällig heute ein Gedicht:

http://terpsichore.twoday.net/stories/sicher/

Ich weiß nicht, wie andere sich fühlen. Ich bin mir aber sicher dass Sicherheit eine Illusion ist. Suchen. Vielleicht nach einem Ankommen, nach einem nicht mehr ins Leere hinein lieben. Aber Sicherheit?
P.S. Ein schöner Name übrigens. Samtdunkel. Haben Sie den aus meiner Geschichte?
samtdunkel - 24. Aug, 01:27

Interessanterweise trage ich diesen Namen bereits seit 4 Jahren. Und wieder führen alle Wege nach Rom! Meine Ärztin, die ich sehr ins Herz geschlossen habe, sagte mir zum Thema Sicherheit eindringlichst: "Verrtrrrauen Sie! (Sie ist Russin) Sie müssen niechts machen! Glauben Sie! Vertrrrauen Sie! Üben Sie das! Dann werden Sie die Verrrbindung mit sich und derr anderren Macht bekommen!"
Eine wahrhaft erstaunliche Interrrnistin!


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Vielleicht ist das so....
Vielleicht ist das so. Vielleicht kommt es bei einer...
Terpsichore - 22. Aug, 10:22


Das Weblog TERPSICHORE wird vom Deutschen Literaturarchiv Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreibende erklären sich einverstanden.


2012-07-23-12-18-41

Comments

Aha,
help
Vielen lieben Dank, aber...
help

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